Kuratorin

Kunstarchiv Beeskow präsentiert Porträts aus der Sammlung „Arsenału 1955“ – Eröffnungsrede

Sehr geehrte Damen und Herren, moi drodzy Państwo,

mit der Präsentation von Porträts aus der Sammlung „Arsenału 1955“ hat das Kunstarchiv Beeskow mit einer Gewohnheit gebrochen, nur Werke aus dem eigenen Kunstbestand zu präsentieren. Mit der Ausstellung „Junge Kunst in Polen“ rückt das Kunstarchiv Beeskow erstmals künstlerische Positionen eines anderen Landes ins Blickfeld der eigenen Überlegungen. Die Ausstellung veranschaulicht mit 20 Gemälden beispielhaft verschiedene Strömungen des Künstlerkreises „Arsenału 1955“.

Es ist faszinierend, wie unmissverständlich auch diese wenigen Bilder die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in Polen ab Mitte der fünfziger Jahre wiedergeben. Im Vergleich mit den frühen Porträts der DDR, die in der Ausstellung „Helden auf Zeit“ zu sehen sind, kann sich auch der ungeübte Betrachter davon überzeugen, welche Möglichkeiten zu einer modernen Ausdrucksweise in der Kunst hier bereits angelegt sind. Ähnlich muss es dem Maler und Grafiker Herbert Sandberg ergangen sein, als er 1956 die Bilder der Ausstellung des Künstlerkreises „
Arsenału“ in Ostberlin gesehen hatte. Sie war unter dem Titel „Junge Generation“  im Internationalen Ausstellungszentrum an der Weidendammer Brücke eröffnet worden. In der Zeitschrift „Bildende Kunst“ dessen Chefredakteur Herbert Sandberg bis 1957 war, hob er die Bedeutung dieser Gesamtschau hervor: Endlich würde wieder eine Ausstellung gezeigt, deren Gesicht nicht durch thematische, dafür aber künstlerisch unzulängliche Bilder bestimmt ist. Indirekt kritisierte er so die Kunstpolitik in der DDR. „Die junge Generation will wieder künstlerisch ehrlich werden, nicht mehr sagen, als im Augenblick in ihr ist, das aber mit echten Mitteln der Kunst.“ Herbert Sandberg rief den Betrachter dazu auf, sich wieder vorurteilsfrei und mit genauem Blick der Kunst zu nähern, weil sich nur so die künstlerischen Aussagen auch erkennen lassen: „Scheinbar pessimistisch im Thema, wird er oft Ansätze von echtem malerischen Optimismus feststellen.“

Für den Graphiker Herbert Sandberg war die Ausstellung mit junger Kunst aus Polen ein weiterer Anlass, um sich offen und direkt für die modernen Strömungen in der Kunst einzusetzen und den eingeschüchterten Künstlern in der DDR erneut Mut zuzusprechen. Seine Plädoyers für neue Ausdrucksformen in der Kunst waren aber nie vordergründig politisch motiviert, sondern es war immer der Künstler Herbert Sandberg, der ein unmittelbares Interesse an der Suche nach „echten Mitteln der Kunst“ hatte. Das zeigte ab 1957 vor allem sein konsequenter Wechsel von der Karikatur zur künstlerischen Druckgrafik.

In den folgenden Jahrzehnten gingen die Künstler der DDR und in Polen völlig verschiedene Wege. Bereits in den 1970er Jahren konnte sich in Polen mithilfe polnischer Emigranten, westlicher Künstler und Galerien aber auch der katholischen Kirche eine von staatlichen Vorgaben unabhängige und kompromisslose Kunst durchsetzen. Wer sich in der DDR über moderne Kunst in Polen informieren wollte, reiste, wenn möglich, persönlich nach Warschau oder Krakau, denn die „Bildende Kunst“ oder die Tagespresse verloren kaum ein Wort über diese Entwicklungen.

In
Deutschland existieren wenig umfassende Arbeiten über die polnische Kunst, ihre Traditionen und Strömungen, trotz vieler Ausstellungen, die in der Bundesrepublik in den letzten zwanzig Jahre organisiert wurden. Ich habe zum Beispiel vergeblich versucht, mehr über Marek Oberländer zu erfahren – er war ein europäischer Künstler, aber über das Leben des Künstlers und sein Wirken lässt sich kaum etwas in Erfahrung bringen.

Und so bietet die Ausstellung „Junge Kunst in Polen“ zunächst die Chance, dass die Besucher im Kontext der Nachkriegsgeschichte beider Länder sowie im Vergleich der jeweiligen künstlerischen Entscheidungen neue und eigene Entdeckungen machen können und zum Nachdenken angeregt werden.

Die Ausstellung soll einen entscheidenden Impuls für ein deutsch-polnisches Gemeinschaftsprojekt des Museums Lubuskie in Gorzów mit dem Kunstarchiv Beeskow geben, bei dem die Sozialgeschichte des modernen Künstlers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder mehr in den Mittepunkt gerückt wird. Die Kunstbestände im Museum Lubuskie und im Kunstarchiv Beeskow könnten unterschiedlicher nicht sein. Sowohl in Hinblick auf ihre Künstler als auch auf die Geschichte der Bestände. Und doch ergeben sich Berührungspunkte. Ich möchte die Eröffnung nutzen, um für eine gemeinsame Forschung zu plädieren, in der die einzelnen Künstler und ihre Werke in vergleichender Perspektive näher untersucht werden. Dabei sollte z.B. auch gefragt werden, welchen Einfluss die Künstlerförderung, die jeweilige Ankaufs- und Auftragspolitik und der europäische Kunstmarkt auf die künstlerischen Ausdrucksformen des Künstlers hatten.

Durch die deutsch-polnische Zusammenarbeit verspreche ich mir auch eine Erweiterung des „eigenen“ Blicks um den „fremden“ Blick, eine gute Möglichkeit, die Dialektik von gemeinsamen Schicksal, verschiedener historischer Bedingungen und kultureller Eigenheiten im Vergleich zu durchdenken. Da ist die nationale
Geschichte beider Staaten einerseits und andererseits die weitgehend deckungsgleiche politische, ökonomische und ideologischer Struktur seit 1945 bis 1989. Eine einheitliche bildende Kunst hat sich dabei nicht entwickelt. Dennoch verliefen die künstlerischen Entwicklungen auf beiden Seiten in einem sich stetig wandelnden Spannungsfeld von politisch gestützten nationalen Traditionen und den Versuchen einzelner Künstler, den Kontakt zu internationalen Entwicklungen zu halten. Sie waren auf beiden Seiten geprägt von dem permanentem Widerspruch von offizieller Doktrin und individuellem Handeln.

Seit Mitte der fünfziger Jahre hatte Polen im ehemaligen Ostblock eine besondere Funktion. Für viele Künstler wie Kunstinteressierte aus der DDR lieferten polnische Künstler den notwendigen internationalen Blick – nicht nur in der Plakatkunst.  Schön wäre es also, eine langfristige und nachhaltige Arbeitsbeziehung aufzubauen, so dass aus den ersten Ideen und den ersten Impulsen der heutigen Ausstellung weitere Konzepte und eine tragfähige Kooperation entsteht. Unter einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit verstehe ich vor allem, Themen mit gesamteuropäischen Perspektiven zu finden, junge Menschen anzusprechen, die in der Gegenwart leben und in die Zukunft schauen wollen und immer wieder Neugier auf den Nachbarn zu wecken.

Denn wir erfahren im Dialog mit dem Nachbarn auch Neues über uns.
Vielen Dank! Dzi
ęku; bardzo!

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