Kuratorin

Stillleben in der Kunst der DDR

Aus dem Kunstarchiv Beeskow – Büchsenwurst und roher Fisch

Die Stillleben aus dem Kunstarchiv Beeskow, zwischen 1962 und 1989 entstanden, lassen Stileigentümlichkeiten einzelner Schulen und Meister wichtiger Epochen wieder erkennen. In der Tradition der niederländischen Malerei oder des Impressionismus stehen Blumen, Früchte, Fische oder gleich das ganze Interieur im Vordergrund: banale und alltägliche Gegenstände mehr oder weniger mit einer sehr individuellen Symbolik besetzt.
Der Vergleich aller Stillleben in der Ausstellung miteinander macht aber zugleich die veränderte Wahrnehmung innerhalb der Gattung deutlich. Fast unmerklich haben sich Gegenstände aus der Welt der Arbeit und des modernen Wohnens unter die traditionellen Arrangements gemischt: Zentralheizung statt Biedermeiermöbel, Glühlampe statt Kerze, Thermoskanne statt Weinkrug, Büchsenwurst statt ganzer Fisch.
Schon ein Blick in diese Ausstellung mit rund 60 Stillleben lässt erkennen, dass mindestens drei Generationen von Künstlern im Beeskower Bestand vertreten sind: Maler, die ihre Ausbildung vor dem II. Weltkrieg gemacht hatten, wie Walter Denecke, Fritz Duda oder Hildegard Stilijanow, dann die Aufbaugeneration, also Künstler, die mit der Gründung der DDR ihre künstlerische Laufbahn begannen wie Wolfgang Mattheuer, Harald Hakenbeck oder Walter Womacka und Künstler, die später von dieser Generation  ausgebildet wurden, so beispielsweise Jürgen Parche, Lutz Friedel und Ulla Walter.

Stillleben waren keine Auftragskunst

Eine systematische Betrachtung der offiziellen Kunst in der DDR lässt kaum einen Zweifel daran, dass in all den Jahren die neuen Besitzer der Industriebetriebe, der Bergwerke und Bodenschätze für die bildenden Künstler starke Anziehungspunkte bildeten. Auf diese Produktivkräfte und die Produktivkraft Mensch zielte auch die Auftrags- und Ankaufspolitik in der Kunst. Der „neue Mensch“ und das „neue Leben“ der sozialistischen Gesellschaft sollten zu einem zentralen Bezugspunkt der Künste werden. Wettbewerbe wurden ausgeschrieben, Themen vorgegeben und entsprechend deutlicher die Forderungen nach gegenständlicher Malerei. Stillleben wurden dabei nicht in Auftrag gegeben.
Aber Künstler, die die neuen Eigentümer der Produktionsmittel in den Werkhallen oder Bauwagen aufsuchten, fanden nicht nur Arbeiter, Brigadiere und Neuerer vor, sondern ebenso eine von alter Symbolik freie Gegenstandswelt, die das bisherige private Repertoire des Ateliers eher brav und tugendhaft anmuten ließ. Das Stillleben bekam neue Inhalte.

Von versöhnlichen Inhalten …

Diese Kunstwerke sind im Vergleich zu den Porträts, Landschafts- und Städtebildern auffallend oft in kleinen Formaten gemalt. Es sind Studienarbeiten, von bewusst Arrangiertem bis zufällig Entdecktem, oder Nebenprodukte, die parallel zu größeren Werken entstanden. Mehrheitlich verweisen diese handlichen Formate auf die besondere ästhetische Einstellung, mit der die Bilder entstanden – eine Haltung, bei der es weniger auf die Gegenstände, die schlichten Motive der Natur und des Alltags ankommt – sondern auf die zeitlose Erlebnisform.  Nur wenige Künstler wagen sich an die Grenzen des Stilllebens z.B. durch die Auflösung des Bildraumes oder die Verwendung neuer Materialien. Die Mehrzahl geht auf Nummer sicher – nicht nur in der Komposition, sondern auch bei der Wahl der Motive – und nimmt Blumenvasen auf Stühlen oder Pflanzenschalen auf Tischen.
Auch wenn die Parteien und Massenorganisationen in der DDR kaum Stillleben in Auftrag gaben, angekauft wurden diese Bilder offensichtlich gerne und häufig, sicher auch wegen ihrer versöhnlichen und oft unpolitisch-biederen Inhalte.

… bis zu Momentaufnahmen

Dabei müssen Stillleben der Gegenwart keinesfalls inhaltsleer sein. Wollte man den Begriff Stillleben umbenennen, so wäre „Momentaufnahme“ ein treffendes Wort. Stillleben zeigen in erster Linie ein Innehalten des Daseins, ein „bevor es sich ändert“ und ein „nachdem es sich geändert hat“. In dieser Gegenwärtigkeit zeigen die Dinge eine weitere Dimension, die man im Alltag nur schwer erkennen kann. Ein schönes Beispiel dafür ist das „Großen Hochzeitsstilleben“ von Walter Eisler. Der Maler hatte Mitte der siebziger Jahre im Atelier seines Vaters Bernhard Heisig mitgearbeitet und später auch bei ihm in Leipzig studierte. Das Bild entstand 1985, wenige Monate nachdem Walter Eisler über drei Jahre im nordthüringischen Bad Frankenhausen am 1700 m² großen Monomentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ bei Werner Tübke mitgearbeitet hatte. Betrachtet man nun dieses expressive Arrangement von Gläsern und Blumen ist es schwer vorstellbar, dass der Maler eben noch auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen, dem Ort des letzten Entscheidungskampfes im mitteldeutschen Bauernkrieg stand. Das Stillleben ist voller Leichtigkeit und Transparenz, es kommt daher wie ein Gedanke, der so schnell verfliegt wie er gedacht war. Vielleicht hat sich der Maler hier einfach nur frei-gemalt, ein künstlerischer Vorgang, der in der Auseinandersetzung mit Thomas Müntzer, Martin Luther und Werner Tübke sicher für jeden Schüler irgendwann zwingend wurde. Der Gedanke, dass Walter Eisler 1985 einfach nur geheiratet hat, möchte sich bei mir als Betrachter nicht einstellen – und das macht – denke ich - ein gutes Stillleben aus.

Rittersporn und Alpenveilchen in der Kunst der DDR

Keineswegs nebensächlich, sondern erheblich und in der absoluten Mehrheit sind die Stillleben mit Blumen – sowohl in der Ausstellung als auch im Bestand des Kunstarchivs Beeskow. Von den hier 48 ausgestellten Gemälden weisen 25 verschiedensten Blumenmotive auf, darunter auffallend oft den Rittersporn. Wir finden ihn stolz und prächtig bei Fritz Duda, zauberhaft und gigantisch blau bei Walter Womacka und als farbenreicher Blütenstrauß im sommerlichen Garten bei Jürgen Parche. Diese winterharte Staude kam erst 1758 aus Sibirien nach Europa und zählte immer schon zu den größten und zugleich traditionellsten Gartenstauden. Sie kommt in der christlichen Mythologie nicht vor, dafür bei Goethe und Fontane. Der Rittersporn ist also eine moderne Blume, die dem Maler eine eigene individuelle Ausdeutung erlaubt. Allerdings ist der Rittersporn in der Vase nur eine kurze wahre Pracht und leider nicht sehr lange haltbar. Dieser Gedanke an Vergänglichkeit kommt mir bei dem Bild von Jürgen Parche, das trotz der stolzen Farben zugleich düster wirkt und von einem schwarzen Trauerrahmen umgeben ist.
Im völligen Gegensatz dazu prahlt das Alpenveilchen von Karl-Heinz Kummer. Das heute ganz zu Unrecht als bieder verschmähte Primelgewächs hat eine wilde Vergangenheit: Es wuchs einst massenhaft in der freien Natur. Umso mehr bewundere ich die Arbeit von Heinz-Karl Kummer, der dem Alpenveilchen in einem einfachen Blumentopf etwas von seiner Wildheit zurückgegeben hat. Die Blume sehnt sich nach Freiheit und tollkühn entfernen sich die Blüten immer mehr von ihren Wurzeln. Die Stängel ähneln in dieser grotesken Länge vielmehr Infusionsschläuchen. Man fragt sich, ob die Blüten überhaupt zum Topf gehören? Sie wirken immer noch frisch, und immer noch bieder. Für mich hat Heinz-Karl Kummer mit seinen Alpenveilchen ein Krankheitsbild von der bewirtschafteten Natur gemalt und damit ein Bild vom Menschen.

Absichtsvoll Erzähltes

Die Ausstellung „Büchsenwurst und roher Fisch“ versucht zweierlei zu verdeutlichen: Zum einen war das Stillleben in der Kunst der DDR keine geförderte Kunstgattung, sie diente in der Mehrheit individuellen Studienzwecken, wobei heute noch das handwerkliche Können überzeugt, und greift keine großen gesellschaftlichen Themen auf. Das Stillleben konnte in der künstlerischen Entwicklung eines Künstlers aber auch kompensatorische Funktionen erfüllen. Vereinzelt nahmen sich Künstler der Gattung besonders an, wie Lutz Friedel mit seinem Bild vom geschlachteten Hammel. Ganz in der Manier der niederländischen Malerei drapierte der Maler das ausgeweidete und gevierteilte Tier mit Weintrauben und Zwiebellauch in einen Korb und setzt der schönen Vergänglichkeit des Lebens die Ästhetik des gewaltsamen Todes entgegen. Andere Künstler aktivierten Symbolisches, beispielsweise Albrecht Gehse, der neben toten Fischen und einer Zitrone, dem geläufigen Symbol für die Tugend der Mäßigung, eine reale Tageszeitung aufgeklebt hatte oder Klaus Dieter Locke, auf dessen „Post aus der Heimat“ die Bananen vor dem geöffneten Paket das zentrale Motiv bilden.
Winfried Wolk wiederum verunsicherte schon 1978 den Betrachter mit einem mitgebrachten Che-Porträt aus Kuba – einer Materialcollage aus Hartfaser, Öl und prunkvoll geschnitztem Rahmen, ein schwer zugängliches Abkommen zwischen Nachlässen der spanischen Kolonialzeit, dem stilisierten Helden der kubanischen Revolution und losen Erinnerungsstücke eines Kuba-Reisenden, das den Mythos „Kuba“ künstlerisch durchleuchtet.
Auch wenn diese Bilder innerhalb der Masse an biederen Blumenarrangements eher die Ausnahme sind, auf ihnen sind Dinge zu erleben, die, obwohl sie „tot“ sind, vom Menschen ausgewählt, bearbeitet und künstlerisch neu erschaffen wurden. Sie künden von den Absichten des Menschen, seinen Sehnsüchten und Empfindungen. Sie erzählen vom Leben.

Abbildungen aus dem Ausstellungsflyer Büchsenwurst und roher Fisch, Kunstarchiv Beeskow 2008

 

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