Autorin

Rote Wände für Paul Zech

Eine Wiederbegegnung im HAUS am KLEISTPARK

Er war ein moderner Mensch. Lebte er hier und heute, hätte er genügend Stoff für die Klatschspalten geliefert. Paul Zech – 1881 in Briesen geboren und 1946 in Buenos Aires gestorben – war Lyriker, Schriftsteller und Publizist. Über seine Kindheit und Jugend gibt es nur wenige Hinweise. In Wuppertal-Elberfeld lebte er einige Jahre, wo er frühe Bekanntschaften mit der harten Arbeitswelt in den Kohlebergwerke machte. Manches, was er von sich behauptete, konnte nie belegt werden. Frei erfunden waren seine angeblichen Studien an verschiedenen Universitäten und seine Promotion. In Urkunden und Adressbüchern ist er abwechselnd als „Lagerist“, „Konditor“ und „Korrespondent“ eingetragen. Sicher ist, dass er ab 1902 Gedichte schrieb, 1904 heiratete und Vater von zwei Kindern wurde. Ab 1910 verfasste er expressionistische Gedichte zu den Themen Großstadt und Arbeit, folgte 1912 einem Ruf von Else Lasker-Schüler nach Berlin, meldete sich 1914 freiwillig an die Front, verfasste erst patriotische, dann pazifistische Texte und erhielt 1918 auf Vorschlag von Heinrich Mann für sein lyrisches Werk den renommierten Kleist-Preis. Bis Mitte der zwanziger Jahre gehörte er zur literarischen Prominenz der Hauptstadt.

Von 1925 bis 1933 lebte er in der Naumannstraße 78 (früher Königsweg). In dieser Zeit wurde er zweimal nacheinander des Plagiats beschuldigt und daher aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1933 verlor er wegen eines Bücherdiebstahls seine Anstellung als Hilfsbibliothekar in der Berliner Stadtbibliothek. Wenige Monate später verschwand er aus Berlin und reiste über mehrere Umwege nach Argentinien, wo er bei seinem Bruder in Buenos Aires Aufnahme fand und sich als verfolgter und ausgebürgerter Linksintellektueller ausgab. Seine angeblichen Reisen durch Südamerika und die Besuche bei den Eingeborenen im Urwald waren Fiktionen und seine Indianerlegenden weitgehend Plagiate. Paul Zech wollte sich sein Künstlerdasein erträglicher machen mit Erdichtetem und Erfundenem – dass ist so überliefert und lässt die Biografie glaubhaft erscheinen. Genauso plausibel ist das dichterische Schaffen Paul Zechs überliefert. Es umfasst an die 80 Gedichtbücher, zahlreiche Erzählungen, Romane, literarische Abhandlungen und Schauspiele, sowie übersetzte Nachdichtungen französischer Autoren wie François Villon, Honore de Balzac, Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine, Arthur Rimbaud und Léon Deubel. Er publizierte seine Werke bei namhaften Verlagen wie Ernst Rowohlt, Kurt Wolff oder Hoffmann & Campe. Erwin Piscator schrieb 1926 mit seiner Inszenierung von Zechs szenischer Ballade „Das trunkene Schiff“ an der Berliner Volksbühne ein Stück Theatergeschichte.

Anlässlich des 125. Geburtstages von Paul Zech widmet sich nun eine Ausstellung im HAUS am KLEISTPARK den Lebensstationen und dem literarischen Schaffen des Autors. Die Architektur der Ausstellungsräume verhilft dem Besucher zu einem schnellen Durchblick – eine Literaturausstellung, die nicht zutextet, sondern die Neugierde weckt mit wenigen Handschriften, Büchern, Briefen, zeitgenössischen Kunstwerken und vor allem Fotos, Ton- und Filmdokumenten, so z.B. Ausschnitte aus dem Stück „Das trunkene Schiff“, dass Frank Castorf 1988 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz inszenierte hatte. Der Besucher lustwandelt durch fünf Räume, die im kräftigen Rot und Grün gestaltet sind. Auf einzelnen Tischen liegen unter Glas ausgewählte Texte, davor stehen Stühle. Natürlich – im Sitzen liest es sich am besten, ebenso hört es sich am angenehmsten im Sitzen. So werden aus fünf Minuten ganz schnell fünfzig. Und es können noch mal 45 Minuten werden, wenn man sich den Dokumentarfilm „Zech – Aufzeichnung eines Emigranten“ ansieht, in dem das Schicksal Zechs auf der Grundlage seines zum Teil autobiographischen Romans nachgezeichnet wird.

Mit 65 Jahren starb Paul Zech in Buenos Aires. Ein Vierteljahrhundert verblieb die Urne in Argentinien, bis sie 1970 auf dem Friedhof in der Stubenrauchstraße in Berlin-Friedenau beigesetzt wurde. Auch wenn Paul Zech der wirkliche Durchbruch immer versagt blieb, in Vergessenheit geriet er nicht. Ein Jahr nach seinem Tod gründete sein Sohn, Rudolph Zech, die Friedenauer Handpresse und verlegte bis ca. 1960 die bisher unpublizierten Werke des Vaters. In der DDR, wo Zech als Arbeiterdichter und Naziverfolgter galt, brachte der Greifenverlag in Rudolstadt von 1952 bis 1990 wiederholt einige Werke heraus. 1955 entdeckte der Schauspieler Klaus Kinski die Nachdichtung „Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villons“ und entwickelte daraus eine Villon-Show, die er ca. hundertmal aufführte. „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund…“ wurde so deutschlandweit zur bekanntesten Metapher.  
Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Mai 2006 im HAUS am KLEISTPARK  zu sehen.
(Stadtteilzeitung Schöneberg, Ausgabe Nr. 30 - April 2006)

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